Tarzan

Inhalt
Mann und Frau werden nach einem Schiffbruch an die Küste einer einsamen afrikanischen Insel gespült. Hier gründen sie eine neue Existenz und zeugen ein Kind. Die Paradiessituation wird jedoch bald durch Leopard Sabor vernichtet, der die Eltern des Kindes kurzerhand verspeist. Ein Gorillaweibchen findet das verwaiste Kind und nimmt es gegen den Widerstand des oberen Männchens in die Familie auf und gibt ihm den Namen Tarzan. Dieser wächst zusammen mit allerlei Getier im afrikanischen Jungle auf, bis diesen eines Tages drei Abenteurer betreten. Ein affenfanatischer Professor, dessen Tochter Jane sowie der niederträchtige Großwildjäger Clayton, der, ohne das Wissen der anderen, Jagd auf die friedfertigen Gorillas zu machen beabsichtigt. Tarzan, der zum ersten Mal mit Menschen konfrontiert wird, gerät in eine substantielle Identitätskrise und muss zu allem Überfluss noch Held sein, wenn die Gorillasozietät gegen den bösen Buben verteidigt werden möchte.

Kurzkommentar
Mit der Aufwärmung des ‚Tarzan‘-Mythos findet Disney nach experimentierfreudigeren, aber weniger erfolgreich Exkursen wieder zum traditionellen Strickmuster zurück. Doch auch wenn die Kunst der zweidimensionalen Zeichnung zur Vollendung gebracht und mit gefälligen Phil Collins-Songs unterlegt wurde, wirkt das konservative Dschungelepos leicht antiquiert. Die volldigitale Konkurrenz vom Schlage eines ‚Großen Krabbelns‘ zeigt sich bezüglich der progressiven Optik, doch vor allem hinsichtlich Erzählstruktur wesentlich innovativer. Disneys ‚Altes war gut, bleibt gut‘- Prämisse mag die spezifische Zielgruppe unterhalten – dem Grundschulalter Entwachsene sollten endgültig den Brecheimer bereithalten: Soviel phrasenhafte Moraldidaktik und sentimentale Schwere hätte Disney auf der Schwelle zu neuen Jahrtausend abschütteln sollen.
Kritik
Hintergrundkommentar: ‚Uuuuuaaaauauauauaua!‘ – als im Jahre 1913 die fiktive Erzählung ‚Tarzan of the apes‘ des Engländers Edgar Rice Burrough den Buchmarkt erreichte, war die gigantische Folgereaktion, durch den ‚Zeitgeist‘ bedingt, abzusehen. Um die überwältigende literarische und filmische Resonanz zu begreifen, ist vielleicht ein kurzes Nachsinnen über die Entstehungsbedingungen angebracht.

Das 19. Jahrhundert war das des Fortschrittsoptimismus und der Naturwissenschaften. Das Zeitalter der technikbegegeisterten Industrialisierung mit ihren automatisierenden Produktionsverfahren erfuhr ihre wohl symbolischste Zuspitzung in der Einführung der ersten Fließbandproduktion durch den Autofabrikanten Henry Ford, der das legendäre T-Modell zum ersten massenhaft reproduzierten Auto der Geschichte machte. Doch auf der Wende zum 20. Jahrhundert kippte die euphorische Technikergebenheit durch den Beginn der ‚Moderne‘ in einen Eindruck der Bedrohung. Fortan war das Zeitgefühl des frühen 20. Jahrhunderts von der Angst vor eben jener Technik bestimmt, die man noch vor wenigen Dekaden als Segen betrachtet hatte.

Durch den Massenproduktionsbetrieb explodierte die städtische Einwohnerzahl und die ersten Millionenstädte entstanden, die Technikeuphorie schlug in die Angst davor um, dass der Mensch zum Sklaven seiner eigenen Erfindung werden könnte. Diese bedrohliche Situation artikulierte sich dann – etwa zur Zeit der Enstehung von Tarzan – in der Kunstepoche des revoltierenden ‚Expressionismus‘, der, von Erfahrungen des ersten Weltkrieges gezeichnet, den befürchteten Identitätsverlust des ‚Massenmenschen‘, die ‚Ichdissoziation‘ zur evozierenden Programmatik machte. Der erste Weltkrieg brachte dann auch den Grauen der ersten Massenvernichtungsschlachten.

Indessen artikulierte die expressionistische Reaktion, gleich ob literarisch oder bildlich, ihre Ängste in radikalen, realitätszersetzenden Begriffen. Da in ihnen die Angst um das Ende der abendländischen, bereits degenerierten Kultur mitschwang, mussten alternative Realitätsentwürfe gefunden werden. Zwar ist die These provokant, ‚Tarzan‘ diesem Wirkungsumfeld entsprungen zu sehen, aber wenigstens peripher ist zu erkennen, dass der ‚Legende‘ eine darwinistisch-naturwissenschaftliche und eine philosophisch-teleologische Komponente inhärent sind. Hätte man sich ein deutlicheres Gefühlsplädoyer für Darwins zur Mitte des 19. Jahrhunderts enwickelte Theorie über die Ursprung der Arten vorstellen können?

Als Darwin mit seiner Abstammungslehre, die unter anderem besagte, der Mensch würde in direkter Verbindung zu den Affen stehen, die Geschichte der Evolutionstheorie revolutionierte, erntete er den Spott seiner Zeitgenossen, denn noch immer stand die Kulturwelt unter starken Einfluss von Cuviers ‚Katastophentheorie‘ . Bis weit in unser Jahrhundert hinein war in dieser kontroversesten Frage der Biologie kein Konsens gefunden. Wie muss nun die Publikation eines Buches, das den Menschen zwar nicht als biologischen, aber quasi als sozial fähigen Affen begreift, gewirkt haben? Gleich wie, eine enorme Resonanz, die vor allem die ‚ethische Konstellation‘ Mensch-Affe neu erörterten haben wird, war dem Autor sicher.

Da literarische Reflexe immer durch Kernmomente einer Epoche bedingt sind, ist der Tarzan-Mythos zwar keine expressionistische Metapher, wohl aber eine Art utopischer Entwurf frei nach Rousseus Credo ‚Zurück zur Natur‘. Lässt man sich auf ein gewagtes Gedankenspiel ein, können im Topos der Figuren von Tarzan und Jane Züge eines schon seit der frühen Neuzeit beschworenen utopischen Idealzustandes wiedererkannt werden: Nach dem Sündenfall Adam und Evas die zweite Chance der Menschheit, in absoluter Harmonie mit der Natur zu existieren. Quasi die Rückkehr zum Beginn der Schöpfungsgeschichte, die völlige Distanznahme von dekadenter Industriezivilisation, die Rückkehr in den Garten Eden (auf der Insel Utopia) – nur gibt es keinen verbotenen Baum und keine Teufelsmetaphern. Fest steht, dass Edgar Rice Burroughs literarischem Erstentwurf zivilisations- und kulturkritische Motive, der undifferenzierte Wunsch nach Zurückgewinnung der Unschuld, inhärent sind. Dieser Hintergrund wirkt in der Legende bis heute fort und wird gerade für Disney, Weltverbesserer aus Tradition, entscheidenen Anlass zur Verfilmung gegeben haben.

Filmkommentar:Bis Disney für den diesjährigen Weihnachtsschicken entdeckte, dass Motive und Botschaften der Tarzan-Legende optimal für´s altbewährte Strickmuster des traditionellen Zeichentrickstreifens zu verwerten sind, hat sich Tarzan durch sage und schreibe 47 Realfilminterpretation schwingen müssen.

Dabei hätte den Moraldidaktikern doch früher bewußt werden müssen, wie zeichentrickprädestiniert der botschaftslastige Stoff ist: wir haben einen kraftvollen Helden, emotionales Bindeglied zwischen Mensch und Affe, der die Unschuld der Natur gegen die bösen Zivilsationsmenschen verteidigt – Schluss mit natürlicher Selektion. Hinzu gesellt sich mit der Figur Janes das fehlende Glied für die Konzeption der ursprünglichen, waren Liebe.

Legt man diese Motive auf das Raster des typischen, immer wiederkehrenden Disney-Prinzips, ergibt sich folgendes, idealtypisches Erzählmuster: Identifikationswürdiger Held verteidigt stolze Individuen (auch Menschen) und die Erfüllung der waren Liebe gegen durchtriebene, hassenswerte Schurken. Und da bei Disney nichts breiter ausgewälzt wird als die überdeutliche Trennung von Gut und Böse, ist schleierhaft, wieso man Tarzan nicht schon früher in die didaktische Mangel genommen hat. Das Resultat stellt nun zwar etliche der Realfilmkonkurrenten in den Schatten, aber das zeitgemäße Facelifting nur auf den Astralkörper des Lianenartisten zu beschränken, reicht nicht, um den Urwaldschinken ordentlich auf Vordermann zu bringen.

Disney hat, nachdem Konkurrent Dreamworks mit ‚Der Prinz von Ägypten‘ durch eine Kindesmordszene für Aufruhr sorgte, keinen Anlass gesehen, sein überkommendes Erzählkonzept zu überdenken. Denn während andere den ursprünglichen Begriff des Zeichentricks durch ausschließliche Computeranimation ersetzen und eine breitere, ältere Zielgruppe anvisieren, um fit für´s nächste Jahrtausend zu sein, ruht sich der Urvater auf erzähltechnisch Risikofreiem aus. Die Produktionsphilosophie, die sich hinter dem ‚Markenname‘ Disney versteckt, vermittelt der Zielgruppe (Alter: max. 10 Jahre) ein zeigefingerhebendes Didaktikgemisch aus ethischen und emotionalen, vorwiegend familiären Grundwerten. Dass auch ‚Tarzan‘ nach diesem Funktionsprinzip inszeniert werden würde, war gewiss. Dennoch ist, auch ohne Kenntnis des Tarzan-Mythos, der Ablauf zu starr, zu schematisch und oft emotional ein zu harter Brocken. Dass Disney-typisch die Eltern eines Helden brutal beseitigt werden, ist für Kleinkinder schon belastend genug, aber dass man nicht davon ab kann, auf dem eigentlich kindgerechten Medium des Zeichentricks noch einen weiteren Protagonisten klischeehaft-tragisch sterben zu lassen, macht den Kinderspaß schon fast zum kitschüberfrachtetem Drama. Die Konkurrenz von Pixar demonstrierte, dass es auch anders geht. Mit dem ‚Großen Krabbeln‘ gelang ihnen ein Musterbeispiel technischer Innvotion und erzählerischem, völlig entspanntem Witz. Demgegenüber ist die disneysche Melodramatik echt zum Heulen.

Drückt man vor diesem überflüssigen, bedeutungsschwangeren Quatsch wohlwollend ein Auge zu und fasst ‚Tarzan‘ so auf, wie er verstanden werden möchte (nämlich als Unterhaltung für die ganze Familie), so ist die Kost zwar immer noch wenig neu, aber funktionstüchtig. Erstaunlich ist die künstlerische Qualität, die die zweidimensionale Zeichnung bis heute erreicht hat. Der Urwald schillert in lebendingen, organischen Farben und vermittelt mit seiner bunten Flora und Fauna einen sehr direkten Eindruck. Um zu demonstrieren, dass auch bei Disney die Zeichen der Zeit erkannt wurden, kombiniert die sogenannte ‚Deep Canvas‘ Technik traditionellen 2D-Stil mit rasanten dreidimenstionalen Kamerafahrten. Es ist reine Geschmacksfrage, ob man eher die organisch-zweidimensionalen oder die sterile, aber dafür plastischere Synthetikwelt aus dem Computer favorisiert. Denn da Disney die Messlatte von zeichenkünstlerischer Ästhetik immer höher zu legen vermag, wird der ‚traditionelle‘ Stil auch in Zukunft noch Daseinsberechtigung haben.

Die Figur Tarzans gleitet in bisher unbekannter Kunstfertigkeit und Agilität durch den Jungle, dass es eine wahre Augenweide ist. Solange die Bilder in schneller Bewegung sind, also ein wahrhaft berauschendes Erlebnis. Doch trotz des Tempos mangelt es an der Charakterisierung der einzelnen Figuren, die mit weit weniger Witz und individueller Identität ausgefüllt wurden als beim ‚Großen Krabbeln‘. Zwar sind die Nebenfiguren, wie Tarzans renitente Gorilla- Cousine Terk oder der gefühlsduselige Elefant Tantor mitunter amüsant, doch vorwiegend ist das Eigenleben der Protagonisten nicht gerade originell. Für eine solide Zeichentrickadaption der Lianenlegende reichen sie allerdings aus. Für mehr ist der routiniert heruntergespulte ‚Tarzan‘ nicht zu gebrauchen. Löblich allerdings, dass Disney sich endlich dazu entschied, Schluss mit einer alten Unsitte zu machen: Keine der Figuren stimmt pathetischen, trommelfellmaternden Heulgesang an, vielmehr wird das Geschehen von pointierten Gesangstücken Phil Collins dezent unterfüttert.

Die Mühe, die sich Phil Collins mit Einsingen der Lieder in fünf Sprachen machte, ist zu honorieren, aber im Deutschen einfach nur peinlich. Letztlich wird die erste Comicvariante Tarzans schnell in Vergessenheit geraten, denn an schöpferischen Ideen und originellem Witz scheint die Konkurrenz weiter zu sein. Zudem werden die Tiere soweit anthropmorphisiert, dass sie menschlicher als Menschen wirken. Ganz so, also ob Darwin gewusst hätte, dass Affen schon immer die besseren Menschen waren. Und dennoch: Aufgrund beeindruckender Bilder, stimmiger Musik und traumhafter Landschaften ist auch der neueste Leinwandinkarnation Tarzans als altbackendes, aber temporeiches Familienabenteuer noch funktional.

Related Post

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *